Good old Europe

Unser Heimatkontinent hat uns wieder! 

Wer unsere Route aufmerksam verfolgt, hat vielleicht schon bemerkt, das wir die letzte Etappe in Marokko von Süd nach West doch recht schnell unterwegs waren. Wir haben uns mal hingesetzt und die nächsten Wochen und die kommende Strecke angeschaut und festgestellt, dass wir uns langsam auf den Rückweg machen müssen. Wir wollen uns noch ein bisschen in Portugal herumtreiben, dafür braucht es etwas Zeit, und dann gibt es immer noch eine ziemliche Strecke quer durch Spanien, Frankreich und Deutschland, bis wir zum 1. April wieder in Berlin sein müssen.

Zudem hat sich bei uns auch eine leichte Marokko-Müdigkeit eingeschlichen, die unseren Weg nach Tanger ebenfalls beschleunigte. So toll dieses Land ist, so gut es uns hier gefallen hat, gibt es natürlich auch ein paar weniger schöne Dinge, die mit der Zeit dann auch nerven können. Und sich dann eine Sehnsucht nach der „ersten Welt“ einstellt. 

Geschlechtergetrennte Bushaltestelle

Marokko ist eine sehr patriarchalische Gesellschaft. Im öffentlichen Leben sind Frauen viel weniger präsent. In den Cafés sitzen ausschließlich Männer, möglicherweise liegt es daran dass die Frauen auch die ganze Arbeit haben und gar keine Zeit, sich im Café zu entspannen. Die rechtliche Situation der Frauen ist teilweise aus dem Mittelalter und passt auch nicht so recht zur im Vergleich zu streng muslimischen Ländern schon etwas lockereren Lebensweise.

Living in Harmony?

Sex vor der Ehe ist verboten und wird auch mit Gefängnis bestraft, natürlich trifft es die Frauen mehr. Ein uneheliches Kind ist die größte Schande und muss lebenslang mit dem Makel leben. Die meisten Frauen sind verschleiert oder mindestens mit Kopftuch und alle Körperteile bedeckt, offensichtlich hat sich das in den letzten Jahrzehnten verstärkt. Unverhüllte Frauen sieht man vielleicht mal in den größeren Städten. Und wenn meine Pilotin sich unverhüllt in der Öffentlichkeit zeigt, wird sie nicht selten mit sexueller Anmache belästigt. 

Fake Müll

Ein weiteres Thema ist der Müll, in einigen Gegenden wähnt man sich eher auf einer Müllkippe als auf einem Strand. Vor allem in dichter besiedelten Gebieten liegt überall der Müll herum, nur selten gibt es saubere Flächen. Wo weniger Menschen leben ist auch weniger Müll, aber insgesamt ist  die Grundhaltung von der Sorte: scheissegal. Oft gibt es keine Entsorgung, der Müll wird hinters Haus in den Graben gekippt oder verbrannt, Plastik fliegt in allen Formen durch die Gegend und hängt im Gestrüpp, Strände voller Glasscherben und Kippen… leider oft wirklich unangenehm. 

Parkplatzwächter

Immer, und überall, gibt es einen der was von dir will. Meistens natürlich Geld. Einfach so, oder mit einem Handel, erbettelt oder für irgendeine Dienstleistung. In vielen Fällen ist ein Nein zwar völlig ausreichend (und wird auch durchaus freundlich akzeptiert), aber trotzdem: irgendwann nervt es einfach, dauernd nein zu sagen  zu müssen. Und dauernd mit einer tendenziell ablehnenden Haltung herumzulaufen ist ja irgendwie auch doof.

Schon Teppich gekauft?

Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch sehr positive Erfahrungen, die das Land sehr sympathisch und bereisenswert machen. Zuallererst bestimmt die Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft der Menschen. Ausnahmslos immer, wenn wir mit dem Rollstuhl irgendwo Probleme hatten, eine Rampe, Treppe oder Rinnstein überwinden mussten, kam jemand angesprungen und hat seine Hilfe angeboten. Wenn wir uns in der engen Medina verirren: gleich zeigt uns jemand den Weg. Ein Lächeln, ein Winken, die Hand aufs Herz, man fühlt: alles echte Gesten.

Und wo diese Menschen leben! Landschaft und Natur, abwechslungsreich und atemberaubend. Der trockene Süden mit Wüsten, Oasen, felsig steinigen Ebenen, ausgetrocknete Flussbetten, das Atlasgebirge mit spektakulären Schluchten und schneebedeckten Gipfeln, die fruchtbaren Täler mit grüner Landwirtschaft, Mandarinen, Bananen, Orangen, die Küsten mit tollen Stränden und Wellen… hier hat Marokko sehr viel zu bieten und das in einem sehr angenehmen Klima. Nachts kann es kalt werden und nach Einbruch der Dunkelheit verziehen wir uns gerne in die Box, tagsüber wird es schön warm aber nicht zu sehr, mal mit t-Shirt mal mit Pulli.

Die Infrastruktur für Wohnmobilreisende ist sehr gut, die Straßen zwar manchmal unterirdisch aber es wird viel gebaut und oft auch im besten Zustand. Überall Tankstellen und Werkstätten und Läden für den täglichen Bedarf. Günstige Restaurants und Lebensmittel. Viele angenehme persönliche kleine Campingplätze, Freistehen oder auf günstigen Parkplätzen übernachten zumeist kein Problem. 

Teppichknüpferin

Also alles in allem ein tolles Land zu bereisen – und das werden wir auch nochmal machen (wir haben noch lange nicht alles gesehen) – nur nicht gleich das nächste Jahr oder jedes Jahr.

Unsere letzten Stationen in Marokko bin ich noch schuldig:

Kasbah im Draa Tal

Von Zagora aus ging es das grüne Draa-Tal nach Nordwesten zur Stadt Ouarzazate. Palmenoasen und mächtige Kasbahs aus Lehm säumen den Weg. Auf dem Campingplatz in Ouarzazate treffen wir das Schweizer Paar Patrik und Karin wieder, die mit ihrem riesigen dreiachsigem Truck nicht zu übersehen sind. Mit ihnen machen wir einen Abstecher zum Weltkulturerbe Ksar Aït-Ben-Haddou, das ist eine befestigte Stadt traditionell in Lehm gebaut, Filmkulisse zahlreicher Streifen von James Bond bis Game of Thrones. Während Conny mit den Schweizern die nicht barrierefreie Stadt besucht, überlege ich, welchen Pass wir über den hohen Atlas nehmen sollen. Die touristischen Highlight-Schluchten Dades und Todra lassen wir fürs nächste Mal übrig, und entscheiden uns für die weniger bekannte Route über die RN23. Ich bin nervöser als die Pilotin, enge Pässe mit einspurigen Wegen voller Schlaglöcher und ohne Leitplanken sind nicht so mein Ding. Als Beifahrer mit Höhenangst sitze ich immer am Abgrund! 

An der RN23

Unerwarteter Weise ist die Fahrt dann gar nicht so schlimm. Die Straße ist zwar stellenweise nur Baustelle, Schotter oder Schlagloch, aber immer sicher befahrbar und das ohne Luftanhalten. Und wir werden mit grandiosen Landschaften belohnt und einem der schönsten Freistellplätze bisher auf unserer Reise: in einer Kurve entdeckt die Pilotin eine kleine Einfahrt, und der Pfad führt holprig hinauf zu einer kleinen Ebene auf 2000m mit 360grad Panorama Aussicht, schneebedeckte Berge rundherum – ein Traum.

Übernacht im hohen Atlas

Am nächsten Tag geht es auf der anderen Seite wieder herunter. Die Landschaft wird grüner, es gibt Wälder und Wasser. In Ouzoud bleiben wir bei den berühmten Wasserfällen für zwei Nächte. Für mich ist der eindrucksvollste Wasserfall immer noch der Rheinfall, hier in Ouzoud ist aber die Gesamtszenerie von Schlucht, den Wasserfällen und der Restaurants überall schon sehenswert.

Am Wasserfall

Nach einem Büro/Gammeltag geht es weiter zu dem Stausee Bin El Ouidane, wo wir auf einer Insel ein wunderschönes Plätzchen finden. Zum Glück hat der See extrem wenig Wasser…

Insel Parkplatz

Leider möchten am nächsten Morgen gleich zwei verschiedene Menschen einen Obulus von uns fürs Parken – der erste wahrscheinlich mit weniger Recht als der zweite, beide tauchen während Connie’s Online Kurs auf und quatschen ins Video, nach einer längeren Diskussion zieht der zweite dann auch ab und wir machen uns schnell wieder auf die Socken.

Beni Mellal

Nach einer Kaffeepause an der Festung Béni Mellal kommen wir in Ebene hinunter, der Atlas ist hinter uns, der Frühling zieht ein in der Region, überall blüht es und wird grün. Mit Hummeln im Po düsen wir die Nationalstraße gen Norden. Wir haben jetzt das Ziel des Fährhafens in Tanger-Med vor Augen und Europa lacht. Hinter Khénifra ist in unserer Stellplatz-App Park4night nur eine Tankstelle verzeichnet, und so schlecht ist der Platz gar nicht, es hat eine sehr schöne Aussicht in die grünen Hügel und in Ruhe gelassen wird man auch.

Meknes

Meknes ist die nächste Etappe, wir stoppen auf einem Platz mitten in der Stadt und tauchen noch einmal ein in die Medina, und landen auf dem Souk mit Kleidung und Lebensmitteln, für die Pilotin die mich im Rollstuhl hindurchlotst, eine ziemliche Herausforderung. 

Hinter Meknes finden wir auf einer Anhöhe einen schönen Parkplatz, wo auch die Internetverbindung für den Onlinekurs am nächsten Morgen ausreicht. Eigentlich hätte Starlink nicht mehr funktionieren dürfen (länger als zwei Monate auf einem fremden Kontinent), aber zu unserem Glück tut es doch.

Nach dem Kurs geht es auf die vorletzte Etappe bis nach Chefchaouen. Hier fahren wir ein bisschen auf der gleichen Strecke wie zu Beginn unserer Marokkotour, und wir sehen, wie sehr der Frühling hier bereits angekommen ist. Fast wie Ostern bei uns sieht es aus…

Frühling am Straßenrand

Der Campingplatz in Chefchaouen hat uns besonders gut gefallen, darum steuern wir den auch wieder an, Wir nutzen die Zeit für Wäsche waschen, Wasser auffüllen und aufräumen. Den Besuch in der Medina müssen wir wegen der vielen Treppen abbrechen.

Die blaue Stadt, hier geht’s nicht weiter

Und dann ist es soweit: ab nach Tanger Med zur Fähre! Die letzte Strecke in Marokko ist nochmal superschön, und die Zeit vergeht schnell. Am Hafen gehen alle Kontrollen und Durchleuchtung und Hundebesuch erstaunlicherweise ohne Hindernisse glatt, und die Abfahrt ist auf die Minute pünktlich. Von manchen Campern haben wir Horrorstories gehört, von 6 Stunden Wartezeit im willkürlichen Chaos – nichts davon bei uns. Und da sind wir: im guten alten Europa! 

In Tarifa an der Landebahn

Oh. Sonntag! Alles ist zu, Nix mit Besuchen am Baumarkt und Supermarkt… na gut, das war in Marokko auch einfacher…!

Wir fahren nach Tarifa auf die „Landebahn“, ein langer Streifen am Strand, wo Wohnmobile problemlos stehen können, und da sind auch wieder die Landschleicher, angekommen am Vorabend. Und Christiane zaubert ein Abendessen für uns – alles ist gut!

,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert